Sonntag, 12. September 2021:
Teilnahme am „Tag des offenen Denkmals®“
Thema: „Sein & Schein: in Geschichte, Architektur und Denkmalpflege“
https://www.tag-des-offenen-denkmals.de/pressemeldung/sein-und-schein/

Bericht über die Marktbrunnenführungen am 12. September 2021:
Herrscher und Heilige

Ursula Kuttler-Merz führte die beiden Gruppen trotz der Geräuschkulisse des gleichzeitig auf dem Marktplatz stattfindenden „Sommer-Nach(t)-Traum“ gewohnt souverän durch die über 500-jährige Geschichte des Rottenburger Marktbrunnens, erbaut um 1482/1483. Die 2. Führung zog aufgrund des Geräuschpegels und der Enge vor dem Brunnen zunächst in den Dom um. Einleitend erzählte sie über die Geschichte Rottenburgs -von der Römerzeit bis zur Neugründung der Stadt durch Graf Albert II von Hohenberg um das Jahr 1280.

Durch die Schwester des Stadtgründers, Gertrud von Hohenberg war die Grafschaft Hohenberg bereits früh mit den Habsburgern verbunden. Getrud heiratete 1253 Graf Rudolf von Habsburg. Nach dessen Wahl zum deutschen König 1273 wurde Sie als Königin „Anna“ zur Stammmutter des Hauses Habsburg. 1381 wurde Rottenburg mitsamt der Grafschaft Hohenberg an die Habsburger verkauft und blieb bis 1806 Teil der vorderösterreichischen Lande.

Lange wurde fälschlicherweise angenommen, dass der Marktbrunnen durch Mechthild von der Pfalz (1419-1482) gestiftet wurde. Mechthild war in zweiter Ehe verheiratet mit Erzherzog Albrecht VI von Österreich; dadurch war sie Gräfin von Hohenberg und Erzherzogin zu Österreich und residierte viele Jahre in Rottenburg. Mechthilds Versuch, Rottenburg und Hohenberg ihrem Sohn aus erster Ehe Eberhard (im Barte) von Württemberg als Erbe zuzuspielen, misslang.

Die also durch die Bürger der Stadt im Spätmittelalter errichtete Marktbrunnensäule hebt die herrschaftlichen Beziehungen Rottenburgs zu den österreichischen Habsburgern in den Figuren des Marktbrunnens heraus:

Auf der unteren Galerie des Marktbrunnens sind 3 Habsburger Herrscher als Hauptfiguren abgebildet:

-der 1. Habsburger Kaiser Friedrich III  (1415-1493)
-sein Vetter Erzherzog Sigmund von Tirol („der Münzreiche“, 1427-1496, Sohn des folgenden Friedrich IV) und vermutlich
Herzog Friedrich IV von Tirol (1382-1439, sein Vater Herzog Leopold III hatte 1381 die Grafschaft Hohenberg für 66.000 Goldgulden gekauft)

Durch diese Bildsprache wusste jeder, zu wem die Stadt gehört und wer das Sagen hat. Alle 3 Dargestellten hatten als direkte Nachkommen von Gertrud/Anna Rottenburger Wurzeln und dadurch neben einer direkten Beziehung auch eine hohe Bedeutung für die Stadt.

Die Figuren auf der mittleren Galerie sind religiöse Darstellungen:

-der heilige Georg
St. Martin als Patron des heutigen Doms (seit 1821, vorher Stadtpfarrkirche) und die
heilige Maria (Vorgängerbau des Domes war eine Liebfrauenkapelle).

In der obersten Galerie des Marktbrunnens ist Christus als Schmerzensmann dargestellt, außerdem der heilige Johannes und eine weitere Figur der heiligen Maria, beide sind als Zeugen der Kreuzigung zu verstehen.

Neben Anekdoten aus dem Leben der dargestellten Herrscher

-Friedrich regierte als König und später als vom Papst gekrönter Kaiser 53 Jahre lang
-Erzherzog Sigmund werden mehr als 50 außereheliche Kinder zugeschrieben

erzählte Frau Kuttler-Merz über die frühere Wasserversorgung des Brunnens aus einer Quelle im Ringelwasen und dass der Überlieferung nach bei einem Stadtbrand die Glocke des kleinen Turmes von St. Martin in den Brunnentrog fiel.

Leider wurden bei den Rottenburger Stadtbränden auch die Archive zusammen mit dem Rathaus größtenteils vernichtet, dadurch ist die heutige Quellenlage zu den mittelalterlichen und nachfolgenden Vorgängen leider spärlich.

Bereits 1847 fanden Restaurierungsarbeiten an der Marktbrunnensäule statt. Davon erzählen auch die in einer Metallkapsel erhaltenen Zeitzeugen: neben Münzen auch ein Bericht über die Stadt, deren Bewohner und die Folgen des „Jahrs ohne Sommer“ 1816: Missernten, gestiegene Preise und Hungersnot: Die Stadtväter hatten daraufhin zusammen mit anderen Städten Weizen in Amerika zur Linderung des Hungers gekauft.

In der Folge hatte der spätgotische Marktbrunnen nicht nur durch Wind und Wetter schwer gelitten, sondern auch durch Kletterübungen und Wurfgeschosse von Lausbuben. Der Sandstein der Brunnensäule war so bröselig geworden, dass einzelne Teile abfielen und die Baldachine über den Hauptfiguren durch Hopfenstangen abgestützt werden mussten.

Auf dem Marktplatz befindet sich heute die 1911 erstellte Nachbildung der Marktbrunnensäule, das Original ist aus konservatorischen Gründen in der von den Hohenberger Grafen gegründeten Stiftskirche St. Moriz aufgestellt.

Durch die einheimischen Künstler Richard und Josef Walz wurde unter Mithilfe der Rottenburger Bildhauer Johann Biesinger und Gustav Hummel eine Kopie gefertigt und am 8. Dezember 1911 feierlich eingeweiht.

Ursula Kuttler-Merz berichtete über die heftigen Dispute bei der Neugestaltung der Brunnensäule. Ein Streit entzündete sich an den ganz unten neu angebrachten Figuren von Adam und Eva. Während der Architekt die ersten Menschen nackt wie Gott sie schuf vor dem Sündenfall darstellen wollte, sah der Rottenburger Bischof von Keppler Sitte und Moral gefährdet und bestand auf der heutigen Darstellung: Adam mit Lendenschurz und Eva mit durch Haarlocken und Apfel verdeckter Blöße.

Leider ist auch die Nachbildung von 1911 der Marktbrunnensäule wieder in einem schlechten baulichen Zustand. Dem eher weichen Wendelsheimer Schilfsandstein haben die Umwelteinflüsse stark zugesetzt.

Die Bauhütte Rottenburg hat daher der Stadt Rottenburg für die geplante Restaurierung einen höheren Betrag zur Unterstützung der Finanzierung zugesagt.

Wir freuen uns auf die hoffentlich bald beginnenden Arbeiten, damit auch künftige Generationen noch viel Freude an der „schönsten gotischen Brunnensäule Südwestdeutschlands“ haben werden.

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